Cafe Andersen (geschlossen ab 22.12.2012)

 

Schon als Kind lernte ich, auswärts zu essenden Kuchen oder in Konditoreien erworbene Stücke von ganzem Herzen zu verabscheuen. Die Produkte waren meistens zu trocken, viel zu süß und Sahnestücke zeichneten sich durch eine zähschleimig-mehlige Konsistenz aus, die noch jeden vielleicht vorhandenen Ansatz von Wohlgeschmack übertünchte.
Daher verweigerte ich jahrelang den Konsum von ‚gekauftem’ Kuchen und akzeptierte trotz wohlmeinender Ratschläge ausschließlich Selbstgebackenes.

Eines Tages schleifte mich meine Angebetete, trotz meines lautstarken Protests, in das Cafe Andersen in der Wandsbeker Chaussee. Ich plärrte etwas herum und drohte mit langfristigem Liebesentzug, als sie mir dann auch noch nahe legte, diese angeblich ‚köstlichen Mohrenköpfe’ , ‚umwerfenden Saschas’ oder ‚superleichten Sahne-Omeletts’ zu ordern.
Und gerade Mohrenköpfe hasste ich nun wirklich:
Da bekommt man normalerweise eine viel zu süße, mit billiger Schokolade umhüllte Kugel, bestehend aus einem überzuckertem Trockenteig, der im Mund immer mehr wird. Gefüllt ist das ganze dann mit einem Pudding-Surrogat, der jedem Genießer angesichts gelatinebedingter Geschmacksarmut und Sämigkeit die Schuhe auszieht.

Ich sehe mich jedoch als Frauenversteher und bestellte dann also doch wie gewünscht, wobei mich die ziemlich gesalzenen Preise und der etwas schläfrige Service nicht so ansprachen....

Aber:
Der dann servierte Kaffee war wirklich ausgezeichnet, heiß und kräftig, und die Kuchenstücke sahen zumindest ganz manierlich aus. Ich griff nahm mir dann einen Mohrenkopf (Kaffee angstvoll in Griffweite), biss mit sehr, sehr langen Zähnen hinein und war doch ehrlich überrascht: Richtig lecker ! Außen dunkle Schokolade von guter Qualität, die Kugel selbst aus einem leichten Biskuitteig, die Füllung aus einem echten, handgekochten und nicht zu süßen Vanillepudding (mit Vanillestücken ! NICHT Dr. Oetker !) – der beste Mohrenkopf meines Lebens ! Eine Offenbarung !
Andersen nennt die Dinger ‚Othello’, während die mit weißem Guss ‚Desdemona’ heißen.
Selbst die Mohrenköpfe von LeNotre (gibt’s z.B. im Berliner KADEWE) sind gegen Andersens Kugeln feuchter Lehm.

Ähnlich positiv das Erlebnis mit den Saschas, die bestehen aus einer Marzipanunterlage, darauf befindet sich eine herbe Mocca-Canaschcreme und das ganze ist überzogen mit heller oder dunkler Kuvertüre – einfach göttlich. Gleiches gilt auch für die Sahne-Omeletts (Biskuitteig mit Sahne und Preiselbeeren oder Erdbeeren) – die schmecken trotz der vielen Sahne derart leicht, dass man die vielen Kalorien einfach vergisst.

Die Zutaten sind wirklich vom Feinsten, ich habe das überprüft. Andersen bot nämlich zu einem stolzen Preis einen ‚Pralinenkurs’ an, da habe ich mir natürlich jede Ecke der sehr sauberen Küche / Backstube angesehen:
Es gab ‚nur’ Grundzutaten, also Butter (keine Margarine), Sahne, Milch, Mehl und frische Früchte / Nüsse – keinerlei chemische Zusatzstoffe, Konservierungsstoffe, Farbstoffe oder andere Fürchterlichkeiten, die ungesund wären oder den Geschmack verfälschen könnten.
Teure Tahiti-Vanille ( ca. €  400,- / kg) habe ich gesehen, weil Herr Andersen die billige Bourbon-Vanille für zu geschmacksarm hält.... ähnliches galt für Kakao, Schokolade, Kuvertüre und Nougat. Vom Pudding über Pralinen bis zum Speiseeis wird alles ‚per Hand’ hergestellt – so sollte es sein und daran gemessen ist Cafe Andersen auch nicht zu teuer.

Insgesamt sind alle Produkte, die mit Milch/Sahne zu tun haben, einfach von einsamer Spitzenqualität, etwas besseres gibt es wohl zumindest in Hamburg nicht. Andere Gebäcksorten wie Kopenhagener oder auch Brötchen ( Ausnahme: Haferbrötchen) finde ich nicht sooo umwerfend, die sind auch teuer, aber nicht herausragend – Geschmackssache.

                                                                              
Cafe Andersen hat fast ausschließlich Stammkundschaft. Das liegt an den Preisen und daran, dass eben viele Produkte für den Markt so tot sind wie für mich vormals die Mohrenköpfe. Wer zweimal abschreckendes Erlebnis hatte, wird sich nur schwer zu einem dritten Versuch überreden lassen – ich empfehle es dennoch ausdrücklich.
In der Wandsbeker Hauptfiliale sitzt man nett im ersten Stock und hat einen hübschen Blick bis zum Wandsbeker Rathaus. Das Ambiente ist eher mittelprächtig bis altbacken, mithin fühlen sich von dem Laden auch eher Damen im gesetzten Alter denn junge Wilde angesprochen. Es gab in Hamburg noch 7 weitere Filialen, die alle vom Haupthaus beliefert wurden, dort ging es zuweilen etwas trendiger zu. Als letzte wurde aber, wohl im Rahmen des Insolvenzverfahrens, im April 2011 die im Wandsbeker Quarree geschlossen.
Informationen, auch zum Lieferservice, gibt es unter www.andersen-hh.de.

Es hat sich also, zumindest in diesem Einzelfall, doch gelohnt, auf die Angebetete zu hören, und jetzt gehe ich sofort zu Andersen und hole mir eines von diesen köstlichen Nusstortenstückchen mit edlem Marzipan... und etwas von der hauseigenen Jahrgangs-Schokolade... und vielleicht noch von der begnadeten Konfitüre ....und... ;-)

 

 

Im Mai und Juni 2006 musste ich indigniert feststellen, dass sich offenbar jemand an den Mohrenköpfen versucht, der vom Temperieren wenig versteht - die Schokoschicht ist viel zu dick und klebrig. Ich habe mich schon bei Frau Andersen beschwert, die unter Hinweis auf die schwierige Herstellung Besserung gelobte - die ist aber bislang leider noch nicht eingetreten. :-((

So, es scheint doch zu klappen, ich habe im Juli 2006 wieder einwandfreie Mohrenköpfe bekommen, leckerleckerlecker!! :-) ... und, wie ich gerade im Dezember 2006 feststelle, gibt es hervorragenden Baumkuchen.

Trotz der Insolvenz 2009 wird noch immer auf dem alten, hohen Niveau die Tortenherstellung zelebriert. Das Temperieren der Mohrenköpfe haut aber einfach nicht mehr hin, lieber die weißen ('Desdemonas') nehmen!

 

Im August 2010 lässt sich sagen, dass Andersens Sahnetorten in Hamburg nach wie vor ungeschlagen sind. Ob Schwarzwälder Kirsch oder Nusstorte, sie kommen wunderbar leicht daher und man möchte meinen, dass sie kaum Kalorien enthalten - schließlich fliegen sie fast fort. Ebenfalls ein echter Genuss sind die etwas hausbacken wirkenden Vanilleschnitten, die großzügige Füllung mit richtig gekochtem Vanillepudding lässt auch zurückhaltende Gourmets mehr davon naschen, als der Figur gut tut. Man richtet damit jedoch ein Inferno auf dem Teller an, weil sich die einzelnen Teigetagen ziemlich schwer teilen lassen, und aus der Hand essen funktioniert nicht - aber das ist es wert.

Von großer Klasse zeugen auch die Kopenhagener, die zwar kleiner aussehen als bei der Billigkonkurrenz, aber wesentlich mehr Aroma auf die Zunge zaubern.
Geschickte Auswahl ist bei den obsthaltigen Torten angezeigt: Herbe oder saure Früchte, Preiselbeeren oder Zitrone, sind OK und extrem lecker, Heidelbeeren aber liegen beispielsweise in einem quietschsüßen Gelee ('Tortenguss'), der vielleicht Kindern munden mag, aber erwachsenen Gaumen wirklich keine Freude bereitet.
Für das Frühstück seien die Haferbrötchen, die Schweizer oder auch die nicht eben fettarmen Croissants wärmstens empfohlen.

 

Eine sehr schlechte Nachricht für Tortenliebhaber - Konditorei Andersen in Hamburg-Wandsbek schließt endgültig, es gab nur noch einen Resteverkauf. Hier die letzten Öffnungstermine im Dezember 2012:

Genussgenie hat immerhin noch Preiselbeer- und Stachelbeermarmelade, einen Rosinenpuffer und Sachertorte kaufen können, leider waren Marzipan und Baumkuchen  schon aus.

Immerhin ist das aktuelle Tortenbuch von Adolf Andersen (Besprechung hier) weiterhin  zu bekommen:

    

 

Cafe Andersen in Wandsbek

Wandsbeker Marktstr. 153  

 

 
 
genussgenie.de