Urgestein

 

 

Das Urgestein ist in der Weinstraßen-Region der Pfalz in aller Munde.
Ganz offensichtlich ist die hohe Küchenkunst des Herrn Benjamin Peifer eine Überraschung, über die man gerne spricht.

Das Restaurant befindet sich in der kleinen Altstadt von Neustadt an der Weinstraße im Bereich einer autofreien Zone. Es ist integriert in den sog. Steinhäuser Hof, einem kleinen Hotel, dessen Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Von außen wird für das Urgestein keinerlei Werbung gemacht, man betritt einen mit Bodenlämpchen beleuchteten heimeligen Innenhof eines Fachwerkensembles und ist zunächst etwas irritiert, weil man nicht gewohnt ist, so wenig Hinweise vorzufinden.
Das wirkt rückblickend wie Understatement, wenn man am Ende eines grandiosen Essens weiß, auf was man sich da eingelassen hat. Das Restaurant befindet sich im sog. Marstall, warme Wandtöne und darüber ein mittelalterliches Kreuzgewölbe, der Blick auf die rauen Ziegelsteine strömt eine fast sakrale Atmosphäre aus. Die Bezeichnung Esstempel wäre hier angebracht.

 

Wir bestellten das 5gängige Meilenstein-Menü.

Als Aperitiv schenkte Herr Idil, zu dem ich am Ende noch einige Worte schreibe, einen 2013er Sauvignon Blanc brut vom Winzer Oliver Zeter aus Neustadt aus. Zufällig exakt der Sekt, den wir ein paar Stunden zuvor bei Herrn Zeter persönlich erstanden hatten.

Bevor wir den 1. Gang erhielten, kamen Grüße aus der Küche. Die nachfolgenden Beschreibungen enthalten als erstes die Ankündigungen der Küche, die sich recht knapp ausnehmen und dann meine/unsere oftmals unzureichenden Versuche, die Speisen zu beschreiben.

„Gequellde mit weißem Kees“
Kartoffelchip// Kräuterquark und Paprika


Feine Kräutercreme auf schön krossem Kartoffelchip mit noch feinerem grünem Wasabi-Zitronenpesto von der Yuzu-Zitrone, deren Saft ein komplexeres Aroma als die normale Zitrone hat. Wir erfuhren, dass diese Zitronensorte in der Pfalz von einem ehemaligen Rechtsanwalt angebaut wird.

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Elmsteiner Forelle von Dominik Hans…
…als Hommage an die Pfalz


Ein optisch perfekter Macaron mit leichtem Sauerkrautgeschmack, Meerrettich und dazwischen himmlischer Geschmack von gebeizter Forelle.
Ein im wahrsten Sinne des Begriffs "mise en bouche"-Erlebnis aus sanfter Säure, feinstem Meerrettich und frisch Geräuchertem.

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Gazpacho von Martin`s Erdbeeren
Brioche mit Pelgens Blutwurst// gehobelte Entenleber


Erfrischender Geschmack dieses Erdbeergazpachos und feinen
Hobelstückchen gekühlter Gänseleber (ich meine jedenfalls, dass es
Gänseleber war). Dazu ein Briochestückchen mit feinster
Blutwurstscheibe. Das passte alles sehr gut geschmacklich zusammen. Klasse!

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„Ceasar`s Salad“ -Intense-
Gegrillter Bauch von Auers Wollschwein und Avocado


Unbeschreiblich leckere feinste Krusteln aus Brot, Parmesan und von der
Hühnerbrust und Speck, dazu das Dressing nicht flüssig, sondern als
Sorbet, Avocado-Kompott, Auer's Wollschwein saftig, würzig, lecker.
Gelungene Aromenzusammenstellung.

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„Bäckerstolz“
Sauerteigbrot mit Urgetreide//Aufgeschlagene Nussbutter mit Meersalz


Es folgte ein Gefäß, in welchem duftendes Brot, frisch aus dem Ofen,
serviert wurde und es enthielt aus Sauerteig gebackenes würziges, super
knuspriges Brot, das man mit zarter, leicht gesalzener Nussbutter
bestreichen konnte. Harmonisch gelungen. Wir 'mussten' das Brot komplett
essen.

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Bei diesem hochköstlichen und zugleich spannenden Auftakt fragten wir uns:
Befanden wir uns wirklich in einem Restaurant mit nur einem Stern? Es
wäre fast die Diskussion aufgekommen, ob nicht bei dem einen oder
anderen mit einem Stern ausgezeichneten Restaurant allzu freundlich
gevotet wurde, wenn man das Verhältnis zum Urgestein-Niveau betrachtet.

 

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Der 1. Gang:
Wolfsbarsch und Rote Garnele "Ceviche"
Gartengurke// Jalapeno und erste Kräuter und Blüten von Ursula Rettig


Man kann gar nicht alles beschreiben, was mit diesem Gang gereicht wurde.
Kräftige flüssige Soße, perfekt gegarte Hummerkrabbe, außen fest, innen
saftig. Die Krabbe lag auf einem Wolfsbarschcarpaccio, dazu würziger
Gurkensalat, eine winzige Kugel Gurkenrelishsorbet, Hummerbisque, weißer
Quinoa und 2 dunkle Quinoachips, fein säuerlicher Sud und eine als
Wurstscheibe geschnittene Scheibe aus Hummerkrabbe.
Ein wunderbarer 1. Gang.

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Kabeljau aus Island, in Miso mariniert und geröstet
Fenchelsalat mit Koriander und Sesam// leichte Dashibrühe


Perfekt gegarter, erstaunlich salziger Kabeljau, feinste Fenchelstreifen
mit wunderbar leichter Schärfe. Im Grunde genommen war dies ein Gang,
den wir an sich nicht benötigt hätten, denn immerhin kommen wir aus dem
Norden und sitzen damit quasi an der Kabeljauquelle, aber geschmeckt hat
er uns auf jeden Fall, weil die Zubereitung hoch interessant war und
erst recht das, was dann geschmacklich dabei heraus kam.

Es gab dazu einen 2013er Gelber Orleans vom Weingut Knipser aus
Laumersheim, eine Rebsorte, die wir noch nie zuvor gekostet hatten. Die
feinherbe Weinnote passte sehr gut.

Falls man Genaueres über diese Rebsorte erfahren möchte, hier ein Link dazu:
https://www.pfalz.de/gelber-orleans-der

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„Mediterrane Fischsuppe“
Fisch des Tages// Muscheln, Pulpo und junge Gemüse


Die hervorragend samtig schmeckende Fischsuppe wurde mit einem perfekt
gegarten Stück Steinbutt und ebenfalls perfektem Stück gegrilltem Pulpo,
sowie Zuccini, grünem Spargel und sardischen Nudelstückchen (die aber
eher geschmacklich unauffällig blieben) an den Tisch gebracht. Dazu
wurde ein Teller gereicht, auf dem kräftig scharfes Krebsfleisch,
Muschelfleisch und obendrauf ein Fischsudgelee drapiert waren.

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Nun gab es als Zwischengängchen, einen falschen geeisten Marshmellow aus
der Kalamansi, das ist eine Orangenart, die besonders sauer ist.
Obendrauf war etwas Aperol und dieser Happen schmeckte süss-bitter und
leitete gelungen über zum nächsten Gang.

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Auer(s)ochse vom Holzkohlegrill

Hierzu gab es zunächst eine schriftliche Erläuterung , die ich gern zitiere:

"Auer(s)ochse auf Holzkohle gegrillt- kalt und warm- verschiedene
Zubereitungen von Bohnen und Kohlrabi. Wir haben von unserem
Fleischerzeuger unseres Vertrauens einen Auerochsen bekommen, den wir
jetzt nach bestem Wissen und Gewissen für Sie zubereiten. Das Tier war 7
Jahre alt und hatte ein Gewicht von 630 kg. Zu dieser Statur kam es nur
durch das, was es selbst gefunden hat, es wurde nie zugefüttert und hat
nie einen Stall von innen gesehen. Dafür haben wir uns einen Big Green
Egg Grill zugelegt, einen Grill aus Keramik mit dem man punktgenau und
auf längere Zeit grillen und räuchern kann. Zum Aromatisieren des
Rauches nehmen wir mit Rotwein getränkte alte Weinreben."

Bevor wir das unten Beschriebene erhielten, wobei ich ebenfalls den Text
der Küche übernommen habe, wurde jedem ein kleines Weckglas gereicht, in
dem der Rauch von geräuchertem Auerochsen enthalten war. Eine witzige
Idee, den Gast auf dieses Tier einzustimmen. Wir erschnüffelten würzigen
Rauch als hätte jemand den Duft eingefangen, der in einer
mittelalterlichen Küche durch den Rauchfang geht, wenn darunter sich ein
Ochse über dem Feuer dreht.

Als Getränk reichte Herr Idil 2011er Augustus Cuvée vom Winzer August
Ziegler aus Maikammer, der wiederum sehr gut gewählt war. Ein nicht zu
aufdringlicher und trotzdem vollmundiger Rotwein.

Auf den Tisch kamen:

"Kalt: - Das Filet als Carpaccio, so bekommt auch jeder ein Stück des
edelsten Teils
- Gelee von gegrillter Ochsenbrust
- japanischer Senf geeist
- Sphäre aus ungestopfter Entenleber
- Vinaigrette von fermentierten Bohnen und Kräuteröl
- Kohlrabi süß/sauer
- Junge Kräuter von Martin und Ursula

Warm:
- Der Rücken, sanft gegart und dann auf Holzkohle gegrillt. So serviert
wie wir es in der Küche essen würden
- Die Brust, gepökelt, auf Holzkohle gegrillt und dann 24 Stunden bei 80
Grad gegart
- Creme von jungen Saubohnen und weißer Zwiebel
- glasierte Stangenbohnen
- Gelee aus schwarzen und fermentierten Bohnen
- Kohlrabi im Vakuum gegart
- Klare Essenz aus Knochen und Abschnitten." (soweit die
Original-Beschreibung des Kochs).

Ein Stück Brioche mit Rücken schmeckte einfach nur gnadenlos gut, das
Carpaccio hatte einen feinen Fleischgeschmack. Man erwartet in seiner
Unerfahrenheit irgendwie einen strengen Fleischgeschmack beim
Auerochsen, aber genau das trat nicht ein. Das warme Fleischgericht war
etwas mürbe, aber der intensiv fleissig schmeckende Sud (Essenz) machte
das wieder wett. Insgesamt war dieser Gang der Höhepunkt des Menüs.

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Zum Dessert gab es Diverses von der Kirsche und dazu reichte Herr Idil
einen Spätburgunder Likörwein, vom Winzer Ökonomierat Rebholz aus
Siebeldingen, den X-Periment, den dieser zu 18,5%igem Portwein ausgebaut
hatte. Ein vollmundiges Geschmackserlebnis zusammen mit dem Nachtisch
und es schien, als habe dieser Wein nur auf solch ein Kirschdessert
gewartet:


Das Dessert war rundum gelungen und das, obwohl der letzte Gang es
eigentlich immer viel schwerer hat, zu überzeugen, als die ersten Gänge.
Wenn man schon gründlich satt ist, ist es eine Kunst des Kochs,
trotzdem noch den Wunsch beim Gast zu wecken, das Dessert zu probieren.
Bis auf eine Schokoladenhülle befand sich auf unserem ausnehmend hübsch
dekorierten Steingutteller alles aus der Zutat Süßkirsche. Neben einer
imponierend riesigen Einzelkirsche, die glänzte, gab es Kirschgelee,
-soße, -schaumiges, -kandiertes, -moussiges, -streuseliges und -
eisiges. Eine gelungene Entdeckungsreise zum Thema Süßkirsche und all
dem, was man daraus zaubern kann. Kirschgeschmack in allen
Zubereitungsvariationen. Hervorragendes Dessert.

 

Geschirr:
Während sich in einigen Restaurants der Trend entwickelt hat, zum Teil
in recht ungewöhnlichen Behältnissen die Speisen anzurichten, ansonsten
aber weiterhin edles Porzellan zu verwenden, befinden sich im Urgestein alle Speisen in oder auf schwerem getöpftertem Geschirr. Zum Teil recht rustikal wirkende
Teller, teils Formen, bei denen es so scheint, als seien sie extra für
die Amuse geules und spezielle Gerichte geschaffen, wie Halbbögen,
kleine Schalen, besondere Suppenteller. Das wirkt sehr stylisch, weil es
das Konzept des Urgesteins unterstreicht: Kreuzgewölbe, Getöpfertes,
geerdete Gerichte = Urgestein.

Die gesamte Keramik wird im Keramikatelier Zinkgraf hergestellt.
http://www.keramikatelier-zinkgraf.de/galerie/


Service:
Während man es in vielen michelinbesternten Restaurants mit einer ganzen
Armada von Bedienungen zu tun hat, beschränkte sich es im Urgestein auf
zwei Personen, soweit mich meine Erinnerung nicht täuscht. Dies war zum
einen eine noch ein wenig schüchterne, aber dennoch bezaubernde junge
Dame, die garantiert in einiger Zeit so viel Sicherheit erworben haben
wird, dass sie hochbeliebt werden wird und dies war zum anderen Herr
Tanel Idil, der uns sehr beeindruckte.
Er ist der gute Geist, wie er selbst zu recht auf der Urgestein-Homepage bezeichnet wird.

Hochengagiert, viel mehr als nur Bedienung, sondern Herr des Gastraumes,
dem nichts entgeht, der aufmerksam jedem Gast die Speisen erklärt und
dabei wunderbar locker wirkt, als habe er kurz zuvor selbst alles
erkostet und erschmeckt und der, obwohl wir keine Weinbegleitung zu
jedem Gang haben wollten, weil uns dies zuviel an Alkohol gewesen wäre,
uns immer wieder mit kleinen Überraschungen erfreute und
Speisenbegleitendes einschenkte. Auch hier konnte er jeweils zum Winzer
und zum Wein speziell Interessantes berichten und was mich besonders
freute, war der Enthusiasmus, mit dem er über das berichtete, was er
gerade einschenkte. Wir hatten das Gefühl, zusammen mit ihm genießen zu
können, denn er wusste offensichtlich genau, was für ein Geschmack uns
jeweils erwarten würde.
Aus dem Internet ist zu erfahren, dass Herr Idil viel in der Welt
herumgekommen ist und zwar, ganz besonders als oftmaliger Teilnehmer bei
den Weltmeisterschaften im Bodyfitness. Herr Idil wurde 2005 Weltmeister
in Graz in den Bodyfitness Klassen. 2010 errang er einen nationalen
Rekord, in dem er zum 20. Mal Deutscher Meister der Fitnessklassen
wurde. Demnächst startet er bei den Senioren, und ist in Vorbereitung
auf die WM in Portugal und er ist der glühende Beweis dafür, dass man
nicht von der Pike auf an, das Sommelierhandwerk erlernen muss, um ein
guter Weinberater zu werden, womit ich keinesfalls den Beruf des
Sommeliers niedervoten möchte. Alles, wirklich alles, was er uns
einschenkte, war so perfekt auf die Speisen abgestimmt, dass es ein
Hochgenuss war. Seine freundliche, den Gästen zugewandte aufmerksame
Art und die jeweils perfekte Wahl der Getränke hinterließen bei uns
höchst positiven Eindruck. Dieser gute Geist des Urgesteins kann es gut
und gerne mit den prämierten Sommeliers in puncto Betreuung der Gäste
aufnehmen.
Am Ende war die Weinrechnung, die er uns für die eingeschenkten
Tröpfchen aufmachte, beschämend klein und mehr als nur fair berechnet.

Der Koch:
Dass Herr Peifer am Ende noch die Runde machte und sich auch genügend
Zeit ließ, einige seiner Gerichte zu erläutern und ein offenes Ohr für
Anmerkungen hatte, rundete den sympathischen Eindruck, den das Urgestein
macht, ab. Bevor Herr Pfeifer erschien, ließ er noch einen letzten Gruß
aus seiner Küche bringen, nämlich ein Sorbet von Beeren als Granité, das
auf Beerenfrüchten lag. Selbstredend, wie alles zuvor, sehr gut geraten
und lecker. Die Beerenüberraschung war kräftig im Geschmack und hatte
Frische.
Zu Herrn Peifer fiele mir das schlichte Kompliment ein: "So jung und
kocht schon so verdammt gut."

Fazit: Schade, dass Neustadt an der Weinstraße nicht näher an Hamburg
liegt, wir wären längst Urgestein-Stammgäste.

                                                                                                  genussanwältin

 


Urgestein
Hotel Steinhäuser Hof
Rathausstraße 6 a
67433 Neustadt an der Weinstraße

Telefon: 06321 489060
 

 
 
genussgenie.de